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Kinderschutz in der Medizin - Sicher im klinischen Alltag Ein Wahlfach im Blended-Learning Konzept für Studierende der Human- und Zahnmedizin

Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. med. Ertan Mayatepek

Ausgangssituation

2022 wurde in Deutschland, lt. Statistischem Bundesamt, bei fast 62.300 Kindern eine Kindeswohlgefährdung (KWG) durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalt festgestellt. Etwa 80% aller 62 300 von einer Kindeswohlgefährdung betroffenen Kinder waren jünger als 14 Jahre, etwa jedes Zweite sogar jünger als 8 Jahre (47 %). Für das Jahr 2023 gab das Stat. Bundesamt erneut steigende Fallzahlen an. Zudem konnte dargestellt werden, dass medizinisches Fachpersonal wenige Fälle von KWG meldet, bei gleichzeitig guter Trefferquote.

Kinder und Jugendliche können nur geschützt werden, wenn im Gesundheitssystem flächendeckende und nachhaltige Strukturen des Kinderschutzes etabliert werden. In der bislang bestehenden Regelversorgung wird das medizinische Potenzial für den Kinderschutz bei Weitem nicht ausreichend ausgeschöpft. Das Wahlfach steht hierbei für die Integration kinderschutzmedizinischer Inhalte in die universitäre studentische Lehre, wie es auch von der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin, unterstützt durch das Institut für Rechtsmedizin und der Kinderklinik am UKD, gefordert wird.

Eine Literaturrecherche im Vorfeld erbrachte eine unzureichende Ausbildung von medizinischem Fachpersonal und Handlungsunsicherheiten, welche die o.g. Ergebnisse des statistischen Bundesamtes unterstützen könnten.

Durch das E-Learning Angebot ist es überhaupt erst möglich die erforderliche, praxisnahe Interdisziplinarität des Kinderschutzes vermitteln zu können. Dadurch kann den Studierenden ein allumfängliches, leitliniengerechtes Wissen vermittelt werden und dies trotz der Schwere des Themas abwechslungsreich und spannend aufbereitet werden. Die Teilnehmenden können durch den E-Learning Anteil vor dem Präsenzunterricht auf einen gleichen Wissenstand gebracht werden. Zudem unterstützen die Inhalte die Studierenden beim Erwerb der 8 Kernkompetenzen.

Ziele & Zielgruppen

Das Hauptziel des Wahlfaches, als Kooperationsprojekt der Pädiatrie und Rechtsmedizin am UKD, besteht darin, durch ein praxisnahes und umfassend interdisziplinäres Blended-Learning Angebot Kompetenzen für ein leitliniengerechtes Vorgehen bei Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung (KWG) zu vermitteln. Gewählte Schwerpunkte liegen auf dem Erkennen und der Intervention bei KWG sowie auf einem Kommunikationstraining für herausfordernde Situationen in der klinischen Praxis im Kontext der KWG. Die Studierenden sollen Wissen, Handlungskompetenzen und somit Sicherheit für eine zukünftige praktische Tätigkeit erlangen.

Ärzt:innen der Human- und Zahnmedizin nehmen im Kinderschutz, unabhängig der späteren Fachrichtung, eine sehr wichtige Position ein. Das Wahlfach wurde und wird auch weiterhin Studierenden der Human- und Zahnmedizin angeboten werden, um entsprechende Disziplinen im Kinderschutz zu vernetzen und um das Thema der dentalen Vernachlässigung im Kinderschutz besser beleuchten zu können. Es wurde die Qualifikationsstufe 2 gewählt, um den Erwerb der acht Kernkompetenzen weiter zu unterstützen. Aufgrund des intensiven Kommunikationstrainings mit Schauspielpatient: innen wurde im ersten Durchgang eine Studierendengruppe von 12 Studierenden gewählt, um das Arbeiten in Kleingruppen zu gewährleisten. Das angebotene Wahlfach wurde im SS23 und im WS23/24 direkt im ersten Durchgang voll belegt. Dies, Anfragen für Wartelisten, eine positive Evaluation und die Wichtigkeit des Themas an sich, legen eine Ausweitung des Angebotes auf eine größere Anzahl Studierende nahe. Dies kann durch eine weitere Digitalisierung des Wahlfaches ermöglicht werden. Wichtige Inhalte können für zukünftige Kohorten verfügbar gemacht werden, ohne diese immer wieder aufbereiten zu müssen, bieten eine Unabhängigkeit in der zeitlichen Bearbeitung, ermöglichen ein individuelles Lerntempo und durch Add-On Inhalte auch individuelle Lernschwerpunkte. Im ersten Durchlauf unseres Wahlfachs erhielten wir immer wieder die Rückmeldung, dass die Online-Anteile das selbstständige Lernen und Zeitmanagement vereinfacht haben.

Umsetzung

Idee und Konzeption erfolgte durch Frau Dr. Seidler als Mitglied der Nachwuchsgruppe Kinderschutz in der Medizin unter Leitung von Prof. Mayatepek, Direktor der Klinik für Pädiatrie, in Kooperation mit dem Institut für Rechtsmedizin am UKD.

Durch die vorhandene Kinderschutzexpertise am UKD, den vorhandenen Bedarfen sowie der bereits erwähnten Forderung nach Integration kinderschutzmedizinischer Inhalte in die universitäre Lehre, wurde ein nachhaltiges Angebot in Form eines Wahlfaches im Blended-Learning Format gewählt. Die Konzeptionsphase beinhaltete eine Literaturrecherche zum Thema sowie die Anfertigung einer Projektskizze inkl. Gantt-Chart zur Zeitplanung (Antrag 2023-I angefügt). Begleitend erfolgten Beratungen durch das Team des eLearning office medizin.

Durch die Förderung des ELFF konnte das Lehrangebot mit Hilfe von einer SHK und einer WHB in die Umsetzung gehen.

Es wurde ein praxisnahes, fallorientiertes und interdisziplinäres Angebot erarbeitet, um Kompetenzen für ein leitliniengerechtes Vorgehen bei Verdacht auf eine KWG zu vermitteln. Fokusse sind das Erkennen, die Intervention bei KWG sowie Kommunikation in entsprechenden Situationen in der klinischen Praxis. Die Studierenden sollen Wissen, Handlungskompetenzen und Handlungssicherheit für ihre zukünftige praktische Tätigkeit erlangen.

Zunächst erfolgte eine Kontaktaufnahme mit ausgewählten Fachbereichen und Dozierenden und die thematische Festlegung der einzelnen Module mit entsprechender Lehrplanentwicklung aus Präsenz und Online-Veranstaltungen. Um die sehr breite Interdisziplinarität abdecken zu können, wurden Dozent:innen verschiedener Kliniken und Institute sowie Dozent:innen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes integriert. Mit insgesamt über 20 Dozierenden ist eine Umsetzung mittels E-Learning unabdingbar. Dies ermöglicht, insbesondere bei Inkludierung von parallel klinisch tätigen Dozierenden, deren Teilnahme und verhindert unnötige Ausfälle durch diese bei Abruf/ Unabkömmlichkeit in die klinische Tätigkeit.

In enger Zusammenarbeit mit dem CoMeD-Team wurden Lerneinheiten zum Thema Kommunikation im Kinderschutz entwickelt und umgesetzt. Nach einem vorbereitenden zweistündigen Lernmodul werden die Studierenden die Kommunikationsmodelle mit Schauspielpatient: innen unter Supervision von Expert: innen (CoMeD-Mitglieder, Pädiater: innen, Sozialarbeiter: innen, Psycholog:innen) trainieren. Insbesondere für den Kommunikationsteil des Wahlfaches wurden durch die Koordinatorin des Childhood Hauses praxisrelevante Fälle erarbeitet, welche sich durch das Wahlfach ziehen. Für jede Unterrichtseinheit wurden durch die Dozierenden Lernziele erstellt und den Studierenden zur Verfügung gestellt. Die einzelnen Lernziele wurden miteinander verknüpft, um ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln und die übergeordneten Lernziele zu erfüllen. Die Präsenzveranstaltungen wurden im Hörsaal der Rechtsmedizin und im Zentrum für ärztliche Fertigkeiten abgehalten.

Für digitale Lernelemente wurde das Lernmanagementsystem ILIAS gewählt, um Textmaterialien, Bilder, Videos (Good-Practice Videos in CoMeD Kooperation, Experteninterviews) und Podcasts zur Verfügung zu stellen. Durch Leihmöglichkeiten von Kameras und Mikrofonen des ELFF, war es möglich Expert:innen zu interviewen und die entsprechenden Videos aufzubereiten. Zudem wurden Screencasts angeboten, welche mit dem Software Programm Camtasia erstellt wurden.

Hervorzuheben ist ein Good-Practice Video, welches in der Zusammenarbeit mit dem CoMeD-Team entwickelt wurde. In dem Video wird durch einen Pädiater und einer Schauspielpatientin ein Gespräch dargestellt, anhand welchem die Studierenden eine praktische Umsetzung der vorab vermittelten Kommunikationsmodelle in Anwendung erleben können. Dies unterstützt, durch die Authentizität und Visualisierung, die Übertragung für die folgenden eigenen Übungen. Für das Video wurde das MMZ gemietet und mithilfe einer externen Regisseurin und eines Kameramannes die vorher erarbeiteten Fälle aufgenommen.

Die digitalen Angebote wurden von den Studierenden positiv evaluiert. Trotz der vorausgegangenen Jahre, in welchen Lehre hauptsächlich digital vermittelt wurde, gaben die Studierenden an, sich wieder mehr E-Learning zu wünschen, da dies zu mehr Flexibilität bzw. Raum zur Selbstorganisation ermöglicht. Eine curriculare Integration einzelner Inhalte des Wahlfaches ist möglich.

Ergebnisse und Ausblick

Wir haben zu Beginn erwartet, dass aufgrund der sehr breiten Interdisziplinarität und somit vielen Dozierenden, Terminabsprachen und Organisation der unterschiedlichen Akteure (verschiedene Institute und Kliniken am UKD sowie dem ÖGD) die größte Herausforderung sein werden. Dem war nicht so, alle Mitwirkenden waren begeistert von der Entwicklung des Wahlfachs, aufgrund dessen wir auf Unterstützung sowie Flexibilität gestoßen sind. Einstimmig wurde dies durch die Wichtigkeit sowie Notwendigkeit der praxisnahen Ausbildung zum Thema begründet. Die sehr gute Zusammenarbeit der Kliniken und Institute des UKD und darüber hinaus, soll an dieser Stelle einmal hervorgehoben werden. Insbesondere die gute Zusammenarbeit mit dem CoMeD-Team der HHU.

Eine weitere Herausforderung war der Faktor Zeit in Bezug auf die Rekrutierung und Einstellung von SHK/ WHB. Nach Zusage der Förderung im Februar 2023 und geplanter Fertigstellung des Angebotes für September 2023, konnten die studentischen Hilfskräfte ihre Arbeit im Mai 2023 beginnen.

Eine Herausforderung war und ist die Vereinbarkeit der unterschiedlichen Approbationsordnungen und Curricula der Human- und Zahnmedizin, um zeitlich beide Studierende zusammen zu bringen. Auch hier bietet der Ausbau des E-Learnings Abhilfe, indem es zeitlich unabhängig genutzt und flexibel integriert werden kann.

Ein weiteres Planungsproblem war eine adäquate technische Ausstattung mit der gute Videoaufnahmen anfertigt werden konnten. Dies wurde unsererseits im Vorfeld nicht ausreichend geplant. Hervorragend funktioniert über die gesamte Zeit der Umsetzung hat die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter:innen des ELFF, welche auch hier Abhilfe schaffen konnten.

Zum Zeitpunkt der Aufnahme der Arbeit stand einer wissenschaftlichen Hilfskraft keine Internetverbindung zur Verfügung und der Zugriff auf das K-Laufwerk des UKD war nicht möglich. Nachdem diese Hürden genommen waren und die IT-Abteilung das erforderliche Softwareprogramm zugänglich machte, konnten wir mit unserer Arbeit beginnen.

Insgesamt konnten wir mit dem Start der Hilfskräfte zum 01.05.2023 das Blended-Learning Wahlfach als Blockseminar im SoSe23 im September bereits anbieten. Die Umsetzung in diesem kurzen Zeitraum war nur möglich durch zwei engagierte studentische Hilfskräfte und die sehr gute Zusammenarbeit mit allen Dozierenden und dem eLearning office medizin.

Der erste Durchlauf des Wahlfachs wurde von den Studierenden durchweg als positiv evaluiert (N = 10). Sowohl das E-Learning Angebot im Generellen als auch die Lernvideos im Spezifischen fanden breite Zustimmung und positive Resonanz. Um die Evaluation mit den Worten einer/s Studierenden zusammenzufassen:
„Ich hatte den Eindruck, dass die Videos und alle anderen Inhalte des Wahlfaches mit viel Mühe, Aktualität und Verständlichkeit erarbeitet wurden. Ich hätte mir mehr Wahlfächer im Studium gewünscht, die so anwendungsbezogen und wertvoll für die spätere ärztliche Tätigkeit sind.“

Am Ende des Wahlfaches wurde den Studierenden eine freiwillige Stunde angeboten, um mögliche schwierige Inhalte des Wahlfaches nachbesprechen zu können und um eine direkte Rückmeldung abgeben zu können, um notwendige Änderungen und Wünsche der Studierenden im nächsten Durchgang direkt umsetzen zu können. Dieses Angebot wurde von allen Studierenden genutzt. Die gute Betreuung bei dem Thema Kinderschutz durch alle Beteiligten über den gesamten Zeitraum wurde sehr geschätzt, hilfreiche Rückmeldungen zur Organisation z.B. Abfolgen von Inhalten gegeben, fehlende Inhalte benannt und Wünsche geäußert.

Neben der obligatorischen Evaluation erfolgte dadurch durch uns noch ein direkter Austausch mit den Studierenden und eine. zusätzliche prä-post Erhebung, um den Zugewinn an Wissen und um den Zugewinn an gefühlten Handlungskompetenzen zu erheben. Nach dem ersten Durchgang war ein Trend i.S. eines Zugewinns an Wissen und Handlungskompetenzen/-sicherheit erkennbar. Aufgrund der geringen Anzahl an Studierenden, werden wir nach dem zweiten Durchlauf des Wahlfaches ein Endergebnis auswerten können.

Zurzeit ist unsere Arbeitsgruppe dabei, insbesondere auf Basis der Rückmeldungen und Evaluation der Studierenden, Anpassungen am Wahlfach vorzunehmen. Zum einen soll das Wahlfach inhaltlich weiter ausgebaut werden. Die Darstellung der Kinderschutzgruppe, eine Besichtigung des Childhood-Hauses sollen integriert werden, kinderradiologische Inhalte berücksichtigt sowie das Thema häusliche Gewalt durch die Institutsdirektorin der Rechtsmedizin, Prof. Ritz, vermittelt werden. Weiterhin sollen psychologische Aspekte thematisiert werden, z.B. psychotraumatologische Konsequenzen für betroffene Kinder und das Thema Selbstfürsorge im Kinderschutz den angehenden Ärzt:innen nahegebracht werden. Des Weiteren werden die organisatorischen Wünsche und Verbesserungsvorschläge der Studierenden umgesetzt werden. 

Aufgrund der bisher dargestellten Ergebnisse und Erfahrungen würden wir uns wünschen, deutlich mehr Studierenden dieses Angebot machen zu können und sprechen uns für die Entwicklung eines weiterentwickelten, vollständigen E-Learning Lehrangebot, erneut in Form eines Wahlfaches, aus.

Verantwortlichkeit: