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Inverted Classrooms zur Vorbereitung auf das universitäre Schwerpunktbereichsexamen

Projektleitung: Prof. Dr. Charlotte Kreuter-Kirchhof

Die Methodik der Fallbearbeitung ist grundlegend für den Erfolg juristischer Klausuren. Sie wird jedoch nach ihrem Erlernen in den ersten Semestern selten bewusst wiederholt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Im Europarecht treten teilweise sehr spezifische Probleme auf, die spezielle Lösungen erfordern. Daraus resultiert ein erhöhter Bedarf an Übungen „am konkreten Fall.“

Im Rahmen des Schwerpunktbereichsstudiums schreiben die Studierenden eine Abschlussklausur zu Fragen des nationalen und europäischen öffentlichen Rechts. Ihre Bewertung fließt zu 40% in die Benotung des universitären Teils des ersten juristischen Examens ein. Im Examen hat keine andere schriftliche Prüfungsleistung größeres Gewicht. Gleichzeitig ist diese Klausur für die Studierenden die erste Klausur mit fünfstündiger Bearbeitungszeit unter Examensbedingungen.

Aufgrund dieser besonderen Rahmenbedingungen besteht ein erhöhter Bedarf für eine intensive, spezifische Klausurvorbereitung. Diesen Wunsch äußern die Studierenden sehr deutlich.

Hier will der Inverted Classroom in der Vorlesung Recht des Europäischen Binnenmarktes ansetzen und ein Übungsangebot schaffen.

Umsetzung

Rund zwei Wochen vor der Vorlesungsstunde erhalten die Studierenden auf digitalem Weg einen Fall, den sie selbstständig bearbeiten. Dieser Fall wird dann in einer Vorlesungsstunde durch die Dozentin besprochen.

Zu Beginn des Semesters werden sie dabei kleinschrittig mithilfe von ILIAS-Übungen und Tests „geführt.“ Im Laufe des Semesters und mit zunehmendem Kenntnisstand reduzieren sich diese Hilfen auf grobe Leitfragen, bis die Studierenden ohne Hilfestellungen eine Falllösung erarbeiten (Probeklausur). Die Dozentin wertet mit Unterstützung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Antworten der Studierenden aus und gewinnt so Einblicke in den konkreten Kenntnisstand der Studierenden.

Dieses Vorgehen erlaubt es, in der Vorlesungsstunde den Fokus von der Vermittlung von Wissen auf die Vertiefung und Vernetzung des vorhandenen Wissens zu legen. Da sich die Studierenden bereits im Vorfeld mit den Problemen des Falls auseinandergesetzt haben, ist eine intensive Diskussion möglich.

Im Nachgang zur Vorlesungsstunde erhalten die Studierenden eine ausformulierte Musterlösung, mit der sie die Inhalte des Falls nochmals nacharbeiten können

Die Vorlesungsstunde kann in Präsenz als hybrides Modell oder vollständig virtuell durchgeführt werden.

Erfahrungen mit dem Einsatz

Das Konzept des Inverted Classrooms weicht von der normalen Fallbesprechung in juristischen Tutorien ab.

Üblicherweise erhalten die Studierenden den zu bearbeitenden Fall erst in der eigentlichen Besprechungsstunde. Eine Vorbereitung ist oftmals nicht möglich. Vielmehr wird die Lösung und Problemerörterung vollumfänglich in der Vorlesungsstunde erarbeitet.  

Der Inverted Classroom geht hier einen anderen Weg. Er baut auf die heimische eigenständige Vorbereitung des Falls auf. Dies bringt eine Vielzahl von Vorteilen mit sich, die sich auch beim Einsatz des Konzepts in der Vorlesung gezeigt haben.

Die Studierenden befassen sich bereits vor den Vorlesungsstunden mit den jeweiligen Themen und Fragen und erarbeiten diese so eigenständig. Dies fördert selbständiges Arbeiten, vertieft das juristische Fachwissen und die Kenntnisse der rechtswissenschaftlichen Methodik.

Aufgrund der eigenständigen Vorbereitung des Falls können sich die Studierenden in der Vorlesungsstunde auf die inhaltlichen Fragen konzentrieren und sich intensiv den Besonderheiten der juristischen Falllösung widmen. Dies verleiht Sicherheit und erlaubt vertiefte Diskussionen der anstehenden Fragen.

In Folge dessen beteiligen sich die Studierenden viel intensiver an der Vorlesung. Dies war gerade in Zeiten, in denen ausschließlich Online-Vorlesungen angeboten wurden, wichtig, um die Studierenden aktiv in das Vorlesungsgeschehen einzubinden.

Die vorherige Bearbeitung der Fälle sowie das Hochladen ins Portal ermöglichten der Dozierenden zudem eine vorherige Einsicht in die Lösungsvorschläge der Studierenden. So können die Vorlesungsinhalte an die besonderen Bedürfnisse und Kenntnisse der Studierenden angepasst werden. Verständnisschwierigkeiten werden sichtbar; die Dozierende kann sich in der Vorlesung den Themen vertieft widmen, die die Studierenden noch nicht vollumfänglich erfasst haben.

Vor allem befassen sich die Studierenden aktiver und intensiver mit den gestellten Fragen und lernen, diese nach den Methoden der Rechtwissenschaften selbst zu lösen. Im Laufe des Semesters steigerten die Studierenden ihre Kenntnisse und ihre Fähigkeiten zu eigenständigem rechtswissenschaftlichen Arbeiten erheblich.

Ergebnisse und Ausblick

Der Grundtenor der Evaluation war sehr positiv.

In den ausführlichen Modulevaluationen lobten die Studierenden vor allem die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung. Die frühe Bereitstellung der Materialien kam den Studierenden dabei sehr entgegen. Daneben hoben die Teilnehmenden die ständige Verfügbarkeit der Materialien im ILIAS positiv hervor. Gerade in der Phase der Klausurvorbereitung wurde die Möglichkeit der Wiederholung einer Einheit als sehr hilfreich empfunden.

Zudem wurde positiv bewertet, wie der Inverted Classroom – in dieser Umsetzung – verschiedene Lerntypen anspricht. Durch die Möglichkeit der Vor- und Nacharbeit im ILIAS sowie die Besprechung in der Vorlesung fühlte sich sowohl der visuelle als auch der auditive Lerntyp angesprochen.

Die Evaluation bestätigt, dass die Vorbereitung der Stunde durch den Inverted Classroom sehr positiv aufgenommen wurde. Eine Rückmeldung schrieb hierzu: „Mir hat besonders gut gefallen, dass ich schon auf die Stunde vorbereitet war und mir vorher Gedanken machen konnte, sodass in der Vorlesung nur besondere Probleme besprochen werden konnten und nicht auch noch Zeit auf das generelle Verständnis verwandt werden musste.“

Die Studierenden lobten zudem die gute inhaltliche Abstimmung von Vorlesung und Inverted Classroom. Dabei empfanden sie den Dreiklang aus abstrakter Darstellung der Materie in der Vorlesung, eigenständiger Nacharbeit durch den Fall im Inverted Classroom und Besprechung im Plenum als sehr hilfreich.

Vor diesem Hintergrund sind die Erwartungen, die an das Projekt gestellt wurden, erfüllt worden: Die Studierenden konnten die Vorlesungsinhalte vertiefen und zudem die juristische Fallbearbeitung trainieren.

Verantwortlichkeit: