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Empirisches Arbeiten in der Philosophie: Mit Blended Learning Strategien raus aus dem Lehnstuhl!

Projektleitung: Isabelle Keßels und Paul Hasselkuß

Ausgangssituation: Philosophie und der metaphorische Lehnstuhl

Klassischerweise ist Philosophie mit Textexegese und Argumentation assoziiert – Aktivitäten, die sprichwörtlich ‚vom Lehnstuhl aus‘ betrieben werden können. Neben der Lehnstuhl-Philosophie gewinnt seit den 2000er Jahren die experimentelle Philosophie an Bedeutung, die philosophische Hypothesen mittels empirischer Forschungsmethoden stützt oder widerlegt. Hierbei wird also der metaphorische Lehnstuhl verlassen, um zu experimentieren bzw. um Daten zu erheben.

Während die Lehnstuhl-Philosophie im Lehrangebot der HHU hinreichend vertreten ist und Studierende umfassend im Umgang mit entsprechenden Methoden geschult werden, existierte bisher kein Lehrangebot speziell für experimentelle Philosophie. Insbesondere fehlte ein Lehrangebot, in dem Studierende die Möglichkeit haben, selbst unter Anleitung empirisch zu forschen und dabei den Einsatz professioneller Methoden und Tools zu erproben. Im Sinne des Constructive Alignments ist eine solche Praxisphase als Lehr-Lern-Aktivität für die Vermittlung von experimenteller Philosophie erforderlich, um auch Lernziele der höheren Taxonomiestufen (nach Bloom) – Anwenden, Analysieren, Beurteilen, Erschaffen – erreichen zu können. Dass ein solches Lehrangebot bislang fehlte, lag unserer Einschätzung nach daran, dass in klassischen Lehrformaten (2 SWS pro Woche in Präsenz) zu viele der Sitzungen für das Etablieren von Faktenwissen und Verständnis aufgewendet werden müssen, um Raum für die Durchführung einer Praxisphase zu lassen. Der Einsatz von Blended Learning Strategien und digitalen Tools bot den entscheidenden Lösungsansatz, um diese Leerstelle im Lehrangebot zu füllen.

Projektziel: Mit Blended Learning Strategien raus aus dem Lehnstuhl!

Im Rahmen des Projekts wurde ein wiederholbares Blended Learning Lehr-Lernkonzept entwickelt und erprobt, das Studierenden ermöglicht, innerhalb eines Semesters die theoretischen Grundlagen der experimentellen Philosophie zu erlernen und praktische Erfahrung im Einsatz empirischer Methoden zur Klärung philosophischer Fragen zu gewinnen. Das Lehrangebot richtet sich an Bachelorstudierende der Philosophie ab dem 5. Semester.

Während der Entwicklung und Erstimplementierung im Sommersemester 2023 wurden insbesondere die folgenden Projektziele verfolgt:

  1. Entwicklung wiedereinsetzbarer, interaktiver Lernsequenzen anhand derer Studierende in Selbstlernphasen Fakten- und Verständniswissen zur experimentellen Philosophie sowie zum Einsatz der Programmiersprache R im Kontext quantitativer Datenauswertung erarbeiten können.
  2. Didaktische Ausarbeitung studierendenzentrierter Lehr-Lern-Aktivitäten für das Einüben des Einsatzes empirischer Forschungsmethoden in der Philosophie während der Praxisphasen.
  3. Nachhaltige Dokumentation des Lehr-Konzepts und der technischen Umsetzung, um die Wiedereinsetzbarkeit zu gewährleisten.
  4. Sammeln empirischer Forschungsdaten, die beim Wiedereinsatz des Lehrkonzepts als Basis für die Einübung statistischer Auswertungsverfahren verwendet werden können.

Umsetzung: Wechsel zwischen Selbstlernphasen und Praxisphasen

Anstelle von wöchentlichen Präsenzsitzungen wurde zwischen asynchronen Selbstlern- und synchronen Praxisphasen im Block-Format wechselt: In den Selbstlernphasen erarbeiteten sich Studierende mittels eigens für den Kurs konzipierter, interaktiver E-Learning-Einheiten Grundkenntnisse zur experimentellen Philosophie, zu statistischen Auswertungsverfahren sowie zur Nutzung der Programmiersprache R. Hierfür zeigte sich Einsatz von Jupyter Notebooks als sehr geeignet; dies sind webbasierte, von Studierenden kollaborativ bearbeitbare Dokumente, die Informationstexte mit ausführbarem Programmcode kombinieren (siehe OER-Materialien).

Das in den Selbstlernphasen erarbeitete Theoriewissen kam in den Praxisphasen zur Anwendung. In Kleingruppen entwickelten Studierende empirisch überprüfbare Hypothesen zu einer philosophischen Fragestellung. Gemeinschaftlich wurde ein Studiendesign entwickelt, das dazu geeignet war, die Hypothesen anhand einer quantitativen Befragung zu prüfen. Die resultierende Studie wurde als Online-Umfrage implementiert, für die über die Plattform Prolific ca. 600 Teilnehmende generiert werden konnten. In einer angeleiteten Gruppenarbeit nutzten die Studierenden anschließend R, um die erhobenen Daten – erneut unter der Verwendung von Juypter Notebooks – auszuwerten und zu interpretieren. Die Ergebnisse wurden gemeinsam diskutiert, es wurde weiterer Forschungsbedarf identifiziert und ein Fazit gezogen.

Ergebnis: Ein Einsteiger*innengerechter Einblick in die Praxis

Die Zielsetzung, ein auf das Erfahrungsniveau von Philosophiestudierenden ab dem 5. Bachelor-Semester abgestimmtes Praxisseminar zur experimentellen Philosophie zu entwickeln, wurde erreicht.

Zum Beginn der Lehrveranstaltung wurden die Studierenden zu ihren Vorkenntnissen befragt: Die Hälfte der Teilnehmenden hatte vor ihrer Anmeldung zum Seminar noch nie von experimenteller Philosophie gehört; 63% gaben an, bislang noch kein Paper gelesen zu haben, das philosophische Fragen mittels empirischer Mittel bearbeitet. Dies bestätigte unsere Beobachtung, dass die Behandlung experimenteller Philosophie bislang eine Leerstelle im Lehrangebot der HHU darstellte. Darüber hinaus hatten lediglich 57% der Teilnehmenden in ihrem Studium bereits Erfahrung mit der Lektüre empirischer Studien zu nicht-philosophischen Themen sammeln können; praktische Erfahrung im Einsatz empirischer Methoden hatte zu Beginn des Seminars hatte keiner der Teilnehmenden.

Die geplante Kursstruktur, zunächst mehrere Lerneinheiten für die Klärung grundlegender Fragen zu verwenden (was ist überhaupt unter experimenteller Philosophie zu verstehen, welche Ziele werden verfolgt, welche Kritikpunkte gibt es?), erwies sich demnach als dem Erfahrungsniveau der Studierenden angemessen. Die Lerneinheiten zur Erarbeitung grundlegender Kenntnisse statistischer Auswertungsverfahren in der Programmiersprache R waren ebenfalls auf eine Zielgruppe ohne Vorkenntnisse ausgerichtet.

Das Feedback der Studierenden zeigte, dass insbesondere der starke Anwendungsbezug das Lehr-Lernangebot attraktiv machte. Sowohl das Potential als auch die Schwachstellen der experimentellen Philosophie wurden für Studierende unmittelbar erlebbar. Der Einsatz von Tools, die so auch in der Forschung genutzt werden (insbesondere Prolific und R), ermöglichte, es einen realistischen Einblick in die Praxis der empirischen Forschung zu erlangen sowie für das zukünftiges Studium, sowie ggf. darüber hinaus, relevantes Handlungswissen zu erwerben.

„Die Einblicke in Statistik und theoretische Philosophie haben mich weit mehr abgeholt als ich anfangs dachte und ich habe für mich einiges mitnehmen können. Ebenfalls empfand ich die Struktur des Kurses (der Wechsel zwischen Präsenzsitzungen und Selbstlernphasen) als sehr erfrischend und hat viel Abwechslung in mein Semester gebracht.“

OER Material:

Selbstlern-Einheiten zur Nutzung von R zur statistischen Datenanalyse

Verantwortlichkeit: