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Strong Women: Heroines and their Creators: Ein „Inverted Classroom“-Projekt (Fortsetzung)

 

Das über drei Semester reichende Projekt wurde mit dem Wintersemester 2017/18 beendet, weil die beiden InitiatorInnen nicht mehr an der Universität Düsseldorf lehren. Dem Thema des Projektes, „starke Frauen“, wird indes in den Medien – gerade angesichts des 100jährigen Jubiläums des Frauenwahlrechts und der Auszeichnung der Jesidin Nadia Murad mit dem Friedensnobelpreis – ungebrochenes, wenn nicht sogar wachsendes Interesse zuteil. Bei den – vorwiegend weiblichen – Studierenden des Anglistischen Instituts ist das Thema in den sechs Lehrveranstaltungen des Projektes auf jeden Fall auf eine sehr erfreuliche Resonanz gestoßen, die sich nicht zuletzt in den großen TeilnehmerInnen-Zahlen der einzelnen Seminare bestätigte.

Ausgangssituation

Nachfragen in Seminaren hatten gezeigt, dass „starke Frauen“ zwar seit einiger Zeit en vogue sind und die Studierenden Beispiele aus der Werbung, Filmen wie Wonder Woman oder auch aus den vielen Fernsehserien kennen, in denen diese z. B. in der „klassischen Männerdomäne“ der Pathologie erfolgreich ihren Weg gehen. So gut wie gar nicht bekannt waren ihnen aber die „starken Frauen“ der englischen Literatur, weder literarische Figuren wie Elizabeth Bennet, Jane Eyre oder Tess of the D’Urbervilles, noch die Schöpferinnen großer literarischer Werke wie Aphra Behn, Jane Austen, die Geschwister Brontë, Virginia Woolf oder Doris Lessing. Noch viel weniger vertraut waren die Studierenden zudem mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Autorinnen und Frauen in den jeweiligen Epochen und den Problemen, mit denen sich die ersten Streiterinnen für die Rechte der Frau – u. a. M. Wollstonecraft, E. Pankhurst oder E. Davison – konfrontiert sahen, bevor sich die patriarchalische englische Gesellschaft nachhaltig veränderte, das uneingeschränkte Frauen-Wahlrecht realisiert und eine weitgehende Gleichberechtigung von Männern und Frauen erreicht wurde. Überraschend war auch, dass der Mehrheit der SeminarteilnehmerInnen nicht bekannt war, dass Frauen in Deutschland noch bis in die 70er Jahre hinein die Zustimmung ihres Ehegatten benötigten, wenn sie eine Arbeitsstelle antreten wollten.

Ziele und Projektinhalte

Die maßgeblichen Ziele des Projektes waren somit, den Studierenden einen Einblick in die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in Großbritannien vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart zu liefern, ihnen die wichtigsten AutorInnen der Epochen und deren bedeutendste Werke vorzustellen und sie schließlich mit der Entwicklung des Feminismus und aktuellen feministischen Forschungsansätzen vertraut zu machen.
Für die Umsetzung wurden insbesondere „starke, mutige Frauen“ ausgewählt, die in der Lehre bei uns bislang nur selten berücksichtigt wurden. Dazu gehörte beispielsweise Aphra Behn, die erste Engländerin, die ihren Lebensunterhalt durch ihre literarischen Werke bestreiten konnte und als eine der Wegbereiterinnen des englischen Romans gilt. Sie stand im Mittelpunkt des Seminar Aphra Behn and her 18th Century Successors (Dr. Unterweg, WiSe 16/17), in dem nicht nur ihr berühmtestes Werk Oroonoko, or The Royal Slave behandelt wurde, sondern auch Autorinnen und Werke, die durch die männliche Verlegerwelt systematisch in ihrem Wirken unterdrückt wurden und dadurch bis ins späte 20. Jahrhundert hinein vergessen waren. Dies hat zu der Annahme geführt, des es nur „fathers of the English Novel“ (z. B. Daniel Defoe und Jonathan Swift) gegeben habe, während tatsächlich beinahe ebenso viele Frauen zur Entwicklung und Popularisierung der neuen Gattung beigetragen haben, so Fanny Burney, die Virginia Woolf zu Recht als „mother of English fiction“ bezeichnet hat. Siehe hierzu auch die Podcast-Serie: The Great Forgetting: Women Writers Before Austen von Sophie Coulombeau (www.18thcenturycommon.org/greatforgetting/).

Das Seminar From Ann Radcliffe to Elizabeth Gaskell: Great Female English Novelists and their Heroines (Monika Henne, M. A., WiSe 16/17) war drei berühmten Nachfolgerinnen der Schriftstellerinnen des 18. Jahrhunderts gewidmet und spannte mit seiner Fokussierung auf Ann Radcliffe, die bei den Studierenden ausgesprochen beliebte Jane Austen und Elizabeth Gaskell (eine Freundin der Geschwister Brontë) den Bogen des Projektes bis zum späten 19. Jahrhundert und der Viktorianischen Zeit, in der sich Frauen einen immer größeren Anteil an der literarischen Produktion erkämpften. Aufgrund der Tatsache, dass viele Werke der genannten Autorinnen auch verfilmt wurden, konnten den SeminarteilnehmerInnen deren „starke Frauen“ auch mithilfe von Filmclips vorgestellt werden. Gleichzeitig bot sich die Gelegenheit, Unterschiede zwischen Literaturverfilmung und Romanvorlage kritisch zu erarbeiten und sich Grundtechniken der Filmanalyse anzueignen.

Im folgenden Semester (SoSe 2017) knüpfte das Seminar Strong Women part 2: The Brontë Sisters and their Heroines (Monika Henne, M. A.) hier unmittelbar an, in dem es die berühmten Geschwister Brontë in den Mittelpunkt stellte. Die behandelten Werke, Jane Eyre, The Tenant of Wildfell Hall und Wuthering Heights gelten als Weltliteratur und sind im Hinblick auf die Entwicklung der weiblichen Erzählliteratur als Meilensteine anzusehen. Alle drei befassen sich mit den schwierigen Lebensbedingungen von Frauen in der Viktorianischen Zeit und führten den SeminarteilnehmerInnen – wiederum auch visualisiert durch Filmclips – vor Augen, welche Widerstände die Heldinnen zu überwinden hatten, um ein selbstbestimmtes Leben führen und sich gegen Vorurteile durchsetzen zu können. Im Falle von Wuthering Heights war die Darstellung der leidenschaftlichen, unglücklichen Beziehung zwischen dem „Byronic Hero“ Heathcliff und seiner Jugendliebe Catherine so unkonventionell und schonungslos, dass man diesen Roman selbst nach Aufdeckung der wahren Autorschaft noch lange Zeit für das Werk eines Mannes hielt.

Im Zentrum des Seminars Female Scottish Novelists and their Heroines (Dr. Unterweg, SoSe 17) standen Jackie Kay, Willa Muir und Nan Shepherd, drei schottische Autorinnen, von denen nur eine zuvor Gegenstand eines Seminars am Anglistischen Institut gewesen war. Auch diese drei verbindet eine kritische Auseinandersetzung mit der patriarchalischen Welt im frühen 20. Jahrhundert (Muir und Shepherd, die zu den ersten Schottinnen gehörten, die an einer Universität studieren konnten) sowie die Diskussion von gender- und Identitäts-Fragen und den Problemen, die sich aus unkonventionellen Lebensentwürfen ihrer Protagonistinnen ergeben (Kay, die sich anhand ihrer Hauptfigur Joss Moody mit „black transgender“ und „hybridity“ befasst).

Das überaus positive Feedback des Projektes bei den Studierenden hat das Organisationsteam ermutigt, eine Fortsetzung beim eLearning-Förderfonds zu beantragen, zumal eine kleine Erhebung unter SeminarteilnehmerInnen ergeben hatte, dass sich viele Studierende eine Verknüpfung des Themas „Starke Frauen“ mit Shakespeare wünschten, da dieser bei uns vergleichsweise wenig gelehrt wurde und die Gattung Drama bisher in diesem Zusammenhang noch nicht behandelt worden war. Aufgrund der Bewilligung einer weiteren Förderung konnte das Projekt zum WiSe 2017/18 von Monika Henne, M. A. mit dem Seminar „What's a play without women?" -- Shakespeare and the Other Sex fortgesetzt werden.

Gerade das Shakespeare-Seminar hat eine sehr große Zahl von Studierenden angesprochen und war sicher eines der Highlights des gesamten Projektes, zumal die Dozentin Heinrich Heines Aufsatz „Shakespeares Mädchen und Frauen“ als Einstieg in das Thema gewählt hatte. Die aufschlussreichen Ausführungen des Namenspatrons unserer Universität im Hinblick auf die „starken Frauen“ bei Shakespeare bildeten die Grundlage der Analyse ausgewählter Frauenfiguren in dessen Historien, Komödien und Tragödien und sorgten für lebhafte Diskussionen. Den studentischen Hilfskräften des Projektes war es zudem gelungen, die Fülle des Materials, die es zu Shakespeare gibt, so aufzubereiten, dass die TeilnehmerInnen sich gut orientieren und im Selbststudium beispielsweise in Themen wie „Shakespeare and gender“, „cross-dressing and female identity“ oder „feministische Shakespeare-Studien“ einarbeiten konnten. Außerdem wurden aus den zahllosen Recherche-Möglichkeiten zu dem großen Dramatiker die wichtigsten ausgewählt und kritisch gewürdigt sowie nützliche Analyse-Tools zu den einzelnen Werken erprobt und vorgestellt.

Den Abschluss des Projektes bildete das Aufbauseminar Epicists of the Female Experience (Dr. Unterweg, WiSe 17/18), das sich mit zwei in der Lehre des Anglistischen Instituts vernachlässigten Autorinnen, der mehrfach ausgezeichneten und sehr vielseitigen Literaturprofessorin und Schriftstellerin Zadie Smith (geb. 1975) und der Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing (1919-2013) befasste, deren wichtiger Beitrag zur „weiblichen Erzählliteratur“ 2007 vom Nobelpreis-Komitee nachdrücklich betont wurde.

Umsetzung und pädagogisches Konzept

Alle Seminare waren aufgrund der sehr positiven Vorerfahrungen als „Inverted Classroom“-Projekte konzipiert, bei denen sich die TeilnehmerInnen die Lerninhalte überwiegend asynchron, ortsunabhängig, individuell und selbstgesteuert sowie im eigenen Lerntempo anhand von ILIAS-Lernmaterialien aneignen. Dazu gehörten diverse Übungsaufgaben oder Multiple-Choice-Tests, aber auch biographische Skizzen und Open Educational Resources sowie Plot-Synopsen, Figurenanalysen, Sekundärliteratur-Exzerpte etc. Hier verdienen die drei studentischen Hilfskräfte ein besonderes Lob, da sie hervorragende und ausgesprochen vielseitige Materialien erstellt haben, deren klare Strukturierung bei Berücksichtigung unterschiedlicher Vorkenntnisse die TeilnehmerInnen ebenso sehr stark motiviert hat wie die entsprechenden Anreizsysteme (Quizzes, Zwischentests). Die TeilnehmerInnen waren nicht zuletzt dadurch deutlich besser als üblich auf die Präsenzveranstaltungen vorbereitet und verfügten über einen weitgehend gleichen Kenntnisstand sowie gute Primärtext-Kenntnis. Die Diskussionen waren deshalb erheblich lebhafter als in traditionellen Seminaren. In den Präsenzveranstaltungen wurden ausgewählte Aspekte wie Gender, Intertextuality, Hybridity, Erzähltechnik oder Figurencharakterisierung interaktiv durch Diskussionen, gemeinsame Aufgabenbearbeitung und Gruppenarbeiten systematisch vertieft. Dabei wurden auch Schwierigkeiten beim Lernen mit den digitalen Materialien besprochen und gemeinsam Problemlösungen und Arbeitsstrategien entwickelt, die im Laufe des Studiums auf andere Seminare übertragen und in Abschlussarbeiten bzw. Prüfungen genutzt werden konnten.

Auswertung und Feedback

Das „Inverted-Classroom“-Konzept des Projektes hat sich sehr bewährt und wurde von der überwiegenden Mehrheit der TeilnehmerInnen ausgesprochen gut angenommenen und im Laufe des Projektes beständig erweitert und verbessert. Die positive Resonanz bei den Studierenden zeigte sich nicht nur in den Seminar-Evaluationen, sondern vor allem auch in der ungewöhnlich großen Zahl von mündlichen Prüfungen zu den diversen Aspekten des Themas, die bei den beiden DozentInnen abgelegt wurden.

Zugleich wurden durch die sechs Lehrveranstaltungen des Projektes zahlreiche Hausarbeiten angeregt, in deren Rahmen sich Studierende sowohl aus dem Intermediate- als auch aus dem Advanced-Bereich eigenständig und intensiv mit „starken literarischen Frauen“ und deren Schöpferinnen auseinandergesetzt haben. Außerdem sind aus dem Projekt zahlreiche Bachelorarbeiten und auch einige Masterarbeiten hervorgegangen, weil Studierende im Rahmen der Seminardiskussionen oder durch die eigenständige Auseinandersetzung mit den auf ILIAS bereitgestellten Lernmaterialien Anregungen zu einem Thema für ihre Abschlussarbeit gefunden haben. Besonders erfreulich ist, dass zum einen die drei studentischen Mitarbeiterinnen des Projektes nicht zuletzt aufgrund ihrer intensiven und eigenständigen Mitarbeit alle einen Masterstudienplatz an einer renommierten britischen Universität erhalten haben und zum anderen auch jüngere KollegInnen durch das Projekt offenbar angeregt wurden, weitere Lehrveranstaltung zum Thema „starke Frauen“ und „female identity“ anzubieten.

Verantwortlichkeit: