Gefährdungen des inneren Friedens in Europa. Standortübergreifendes Seminar als Blended Learning in Kooperation mit der AFK
Ausgangslage
Die international ausgerichtete Politikwissenschaft beschäftigt sich mit grenzüberschreitenden Phänomenen wie zum Beispiel Migration, Klimawandel oder Terrorismus. Im üblichen Seminarrahmen rezipieren Studierende diese Realität jedoch zu selten jenseits ihres eigenen lokalen Kontextes und disziplinären Erfahrungsschatzes. Dies scheint paradox angesichts einer in alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche eingekehrten digitalisierten und globalisierten Lebenswelt. Vor diesem Hintergrund bestand ein wesentliches Ziel der Lehrinnovation darin, nicht nur fachliche Inhalte im Sinne „regulärer“ Lehre zu vermitteln, sondern darüber hinaus den studentischen Blick auf das Untersuchungsobjekt zu weiten. Letzteres sollte durch die Bündelung von standortübergreifendem Wissenstransfer und intensiver Auseinandersetzung mit (international) divergierenden Perspektiven und Forschungsansätzen gefördert werden (i.S.v. cross-site teaching). Universitätsinsitutionell sollte überdies der fächerübergreifende Dialog gestärkt werden – nicht nur durch die Etablierung eines interdisziplinärem Netzwerkes digitaler Hochschullehre an der HHU, sondern auch durch die fächer- und standortübergreifende Einbindung von Expertinnen und Experten zu einschlägigen Fragestellungen der Fachdebatte.
Die Bereitstellung der gebündelten Expertise von insgesamt sieben teilnehmenden Universitätsstandorten (Düsseldorf, Freiburg, Hamburg, Mainz, Marburg und Tübingen) und den darüber hinaus involvierten ExpertInnenvideos (i.S.v. inverted classroom) potenzierte die Wissensproduktion und den Wissenstransfer um ein Vielfaches. Die Quantität und Qualität des gebündelten Materials wurde im Rahmen der Studierendenevaluation im Vergleich zu regulären Seminaren als besonderer Mehrwert hervorgehoben.
Ziele und Zielgruppen
Im Lichte aktueller Herausforderungen (u.a. Umgang mit Geflüchteten, Ukrainekonflikt, Rechtspopulismus) und wegweisender Wahlen (v.a. Frankreich, Niederlande, Deutschland) widmete sich die standortübergreifende Ringveranstaltung im Sommer 2017 dem Thema "Gefährdungen des Friedens in Europa". Die sieben Universitätsinstitute boten dazu im Sommersemester 2017 ein gemeinsames interaktives Seminar an, das das übergeordnete Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtete. Etwa 150 Studierende nahmen an der Veranstaltung teil. In erster Linie richtete sich das Ringseminar an Studiengänge im Kontext der Internationalen Beziehungen und der Friedens- und Konfliktforschung. Neben dem (internationalen) Vernetzungsziel zwischen Dozierenden und Studierenden auf der einen und dem Lehren und Lernen neuer Inhalte (Frieden und Europa) bestand ein weiteres Ziel darin die technischen Fähigkeiten und soft skills der Studierenden beispielweise im Rahmen von Videokonferenzen und standortübergreifenden Gruppenarbeiten auszubauen. Die Konzepte von blended learning und inverted classroom erwiesen sich vor diesem Hintergrund geradezu prädestiniert, den politikwissenschaftlichen Lehrplan insbesondere in internationalen Themenfeldern zu ergänzen. Eine funktionierende eLearning-Infrastruktur an allen beteiligten Standorten erwies sich dabei als zentrale Voraussetzung (d.h. gemeinsame Lernplattform, Videokonferenztechnologie, Video-Editoren). Parallel zu der Veranstaltung wurde die Planung für zwei Folgeprojekte im Studienjahr 2018 vorangetrieben. Im nationalen Rahmen bedeutete dies eine Erweiterung der Standorte auf insgesamt acht Partneruniversitäten (d.h. Frankfurt und Marburg). Auf internationaler Ebene startete die bilaterale Kooperation zwischen den Universitäten Düsseldorf und Pretoria. Erste Testsitzungen mit anschließender Evaluation wurden im Oktober 2017 durchgeführt.
Umsetzung
Über eine digitale Videoplattform (Vidyo) und eLearning-Formate (Ilias) verbunden, arbeiteten Studierende und Dozierende über hunderte Kilometer hinweg zusammen. Input-Vorträge internationaler Forschender (Camtasia) ergänzten die Seminarvorbereitung und -durchführung. Die Seminarkonzeption bestand aus einer vor- und nachbereitenden Phase sowie einer wöchentlichen Präsenzzeit von 90 Minuten. Letztere war in zwei Abschnitte geteilt: Ungefähr zwei Drittel der Seminarzeit wurden alle Standorte per Videokonferenz zusammengeschaltet. Lokale Interaktionsphasen von circa 30 Minuten ergänzten die standortübergreifende Zusammenarbeit.
Im Sinne des inverted classroom wurden eLearning-Elemente und Vorträge der ExpertInnen in den Seminarablauf eingebunden. In der Vorbereitungsphase eigneten sich Studierende Basiswissen an, während in der Nachbereitungsphase das erlernte Wissen angewandt wurde. In beiden Phasen erarbeiteten standortübergreifende, studentische Arbeitsgruppen Materialien zu den aufgezeichneten Videovorträgen. Diese wurden zur Vorbereitung der Sitzung vorab online gestellt. Da eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitsmaterialien vom klassischen Text bis hin zu audiovisuellen eLearning-Elementen angeboten wurde, konnten unterschiedliche Lerntypen individuell angesprochen werden. In den jeweiligen Sitzungen wurden die Video-ReferentInnen live zugeschaltet, wobei standortübergreifend zusammengesetzte studentische Arbeitsgruppen die Diskussion der Studierenden mit den zugeschalteten ExpertInnen leiteten. Durch die standortheterogene Verteilung der Studierenden auf unterschiedliche Semester (d.h. BA/MA) konnten Aufgaben auf die individuellen Kompetenzniveaus zugeschnitten und der Zentrierung auf die Studierenden gerecht werden. Um alle Studierenden aktiv einzubinden und die Gruppengröße für die anspruchsvolle standortübergreifende Zusammenarbeit nicht zu groß werden zu lassen, wurden von anderen Studierenden vertiefende eLearning-Elemente erstellt. Insgesamt standen den Studierenden bis zu fünfzehn Aufgaben, wie etwa Audio- und Videobeiträge oder Wissenskontrollen in Form von Quizfragen zur Vor- oder Nachbereitung einer Sitzung, zur Verfügung.
Das eLearning-Angebot findet bereits in der dritten Runde statt (2016-2018). Sowohl das cross-site als auch das inverted classroom-Element sind in den Lehrveranstaltungen des Projektverantwortlichen verstetigt. Studentische Beteiligungs- und Leistungsnachweise sind beispielsweise in der Form synchronisiert, dass standortübergreifende Outputs generiert werden (z.B. gemeinsame Papiere) und ExpertInnen-Videos neben der Seminarliteratur die inhaltliche Basis von Abschlussprüfungen darstellen.
Ergebnisse und Ausblick
Die Kombination von cross-site teaching und inverted classroom ermöglichte eine Zentrierung auf Studierende sowie die Flexiblisierung von Lernwegen. 63 Prozent der teilnehmenden Studierenden gaben an, dass sie ihre Lernerfolge aufgrund der eLearning Elemente steigern konnten. Die beliebtesten Elemente waren die von Studierenden gedrehten Videos und Radioshows, wie etwa Kurzinterviews mit ExpertInnen oder Stimmungsbilder zu tagespolitischen Fragestellungen. Auf diese Weise konnten sich Studierende als Produzierende neuen Wissens auch universitätsübergreifend im bestehenden politischen Diskurs positionieren, wie die Verleihung des Campus-Radio-Preises der Landesanstalt für Medien an Düsseldorfer Studierende für eine im Rahmen des Seminars produzierte Radioshow zum Thema Populismus verdeutlicht. Insgesamt lässt sich anhand der Evaluation belegen, dass unter den Studierenden nicht nur eine große Akzeptanz von eLearning-Elementen herrscht und diese aus studentischer Sicht zum Gelingen einer Lehrveranstaltung beitragen können, sondern darüber hinaus die gebotenen Freiheiten zur Erarbeitung und wissenschaftlicher Bearbeitung eigener Fragestellungen von den Studierenden als didaktisch besonders geeignete Mittel gewertet wurden. Ebenso wurde die standortübergreifende Zusammenarbeit und das Kennenlernen anderer Universitätsstandorte und ihrer Studierenden begrüßt.
Insgesamt fiel die Evaluation des Ringprojektes zu der „Gefährdung des Friedens in Europa“ positiv hinsichtlich der Bündelung von Expertise, des standortübergreifenden Austausches sowie der Nutzung von eLearning-tools aus. Insbesondere hoben Studierende den Erwerb sog. „social skills“ im Rahmen von Videokonferenzen und standortübergreifender Kooperation hervor. Kritisch äußerten sie sich über zu kurze lokale Diskussionsphasen, die aufgrund der online-Schalten kürzer ausfielen als in regulären Seminarkontexten. Vor diesem Hintergrund wurden die für den Sommer 2018 geplanten Veranstaltungen noch stärker als bislang durch Elemente der studentischen online-Partizipation vor, während und nach der Sitzung ergänzt. Schließlich sei die Bedeutung einer funktionierenden IT-Infrastruktur hervorzuheben. Bei einer Vielzahl live miteinander verbundener Universitätsstandorte und ihrer Studierenden in unterschiedlich ausgestatten Seminarräumen bedürfen scheinbar trivialere Dinge wie die Audio-Qualität oder das Heranzoomen der jeweiligen SprecherInnen besonderer Aufmerksamkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Lehrveranstaltung. Abschließend kann von einer erfolgreichen Veranstaltung gesprochen werden, was auch die Lehrpreisverleihung im Jahre 2017 in der Kategorie hein@ward für das Seminar belegt.
Witold Mucha und Christina Pesch